Dienstag, 28. August 2018

Sonntag, 26. August 2018

Premiere Herzrot

Premiere




Es gibt ein Land,
in dem die Menschen
fast gar nicht reden.
In diesem sonderbaren Land
muss man Wörter kaufen um sie sprechen zu können.
Die Maschinen in der Fabrik
arbeiten Tag und Nacht.
Die Wörter, die aus den Maschinen herauskommen,
sind ebenso unterschiedlich
wie alle Sprachen.
Das ist das Land
der großen Wörterfabrik.

  


Wisst ihr, das war eine harte Zeit. Nur wenige Menschen hatten Geld genug um sich Wörter zu kaufen. Es gab viel Streit und die armen Menschen blieben stumm. Die große Wörterfabrik gehörte einem einzigen Menschen und der verwaltete alle Wörter.





Es gibt Wörter,
die sind wertvoller als andere.
Man sagt sie nicht oft.
Eigentlich nur,
wenn man sehr reich ist.
Denn im Land der großen Wörterfabrik
ist sprechen teuer.
Diejenigen die kein Geld haben,
durchsuchen die Mülleimer.
Aber
die weggeworfenen Wörter sind meist wertlos.
Man findet nur Hundekacka und Hasenpipi.




Als ich nach Deutschland kam, konnte ich kein einziges Wort Deutsch.
Deutsch ist einfach für mich, aber in anderen Ländern verstehe ich nichts.
Nichts zu verstehen in einem fremden Land ist sehr langweilig.
Langweilig ist es, dass ich nicht die Sprache sprechen konnte.
Konnte ich am Anfang die Leute nicht verstehen war ich traurig.
Traurig war ich, als ich nicht mit den Anderen reden konnte.
Konnte ich am Anfang kein Wort Deutsch sprechen, rede ich jetzt ganz viel.




Viele Menschen arbeiteten in der Fabrik.
Tag und Nacht waren sie beschäftigt,
die Maschinen zu bedienen und immer neue Wörter zu schaffen.



Im Frühling
beim Schlussverkauf
kann man sich Wörter im Sonderangebot kaufen.
Man kommt bepackt mit Taschen
voller günstiger Wörter nach Hause.
Allerdings sind diese Wörter oft unnütz.
Was macht man schon
mit einem Bauchredner oder einem Zierhasel.




Tabelle, Klitzeklein, Schmollgesicht, Schulranzen, Zungenbrecher, Pustekuchen, Potzblitz, Schakal, Rumpelstilzchen, Lolli, Blödmann, Fettsack, Brillenschlange, Stinkefuß, Tortengesicht, Zerquetscht, Würstchen, Zicke, Eisbrecher, tanken, Frikassee, Quadrat, Irgendwas, Wörtchen, Lollipop, Blattsalat, Karton, Lutscher, Socken, Hip Hop, Wurstsalat,Teufelsblick, Ding, Schnuller, zittern, Knopf, Satellitenschüssel, Computer, Kurzschluß, Blitzableiter, Tintenstrahldrucker, Blaukäppchen, Däumelinchen, Zwergenaufstand, Hexenhaus,  Zwerg.

 


Kreise
Oft sind Anfang und Ende der gleiche Punkt
Seit der Geburt dasselbe Blut das durch die Adern pumpt
Wir fangen jedes Jahr
zu gleicher Zeit an zu frieren
Wir pusten Ringe in die Luft bis der Rauch verweht
Halten uns fest wenn die Erde Pirouetten schlägt
Und wir dreh’n uns mit
wenn die Zeiger rotieren

Wenn sich alles in Kreisen bewegt
Dann gehst du links dann geh ich rechts
Und irgendwann kreuzt sich der Weg
Wenn wir uns wieder seh'n
Wenn sich alles in Kreisen bewegt
Dann gehst du links dann geh ich rechts
Doch wir beide bleiben nicht steh'n
Bis wir uns wieder sehn.
 


Steine
Ich grabe im Geröll mit beiden Händen
Meine Finger taub, die Augen brennen
Baue mir Berge aus Schmerz und Fragen
Sollen sie mich unter sich begraben
Ich geh mit dem Hammer in zerfurchte Felsen
Mache keine Pause, muss Jahre wälzen
Haue Löcher in die Angst, in mein Gewissen
Erste Brocken sind aus Kindheit und Vermissen
Und dann sitz ich auf'm Bett und esse Steine
Deine, meine, große, kleine
Beiß mir die Zähne aus, wenn ich sie zermalme
Ich denk nur so geht es vorbei
Und so sitz ich auf'm Bett und esse Steine
Alte, schwere, spitze, feine
Bis ich fertig damit bin lasst mich alleine
Ich denk nur so geht es vorbei
Zu Stein um Stein
Stein um Stein

 
Heute hat Paul drei Wörter in seinem Netz gefangen.
Aber er sagt sie nicht gleich,
denn er möchte sie aufheben.
Für jemand ganz Besonderen
Morgen
ist Marie’s Geburtstag.
Paul hat sie furchtbar lieb.
Das würde er ihr gerne sagen.
Doch dafür hat er kein Geld in seiner Spardose.
Also wird er ihr drei Wörter schenken,
die er gefunden hat.
„Kirsche, Staub, Stuhl".




...Kirsche, Staub, Stuhl….Könnt ihr euch das vorstellen? Wer will so was schon hören?



Das hat ja ein Vermögen gekostet,
denkt Paul.
Marie lächelt noch immer.
Und Paul weiß nicht,
wen sie eigentlich anlächelt.
In Oskars Augen blitzt soviel Selbstbewusstsein.
Meine Wörter sind klitzeklein,
denkt Paul.





Wenn ich sprachlos bin, fühle ich mich alleine
Alleine bin ich, wenn ich nicht reden kann
Kann ich nicht sprechen, ist alles doof
Doof ist, wenn ich keine Wörter sagen kann
Kann ich keine schönen Sachen sagen, bin ich
traurig
Traurig sind die Leute, die nicht sprechen dürfen
Dürfen nur die reichen Menschen reden, ist das
gemein
Gemein ist, dass die Reichen schöne Wörter
sprechen dürfen 


Ich liebe dich von ganzem Herzen, meine Marie.
Eines Tages, das weiß ich,
werden wir heiraten.
 



Kraniche
Ein feiner Zug in Richtung Dünen
Die Kraniche auf den gepflügten Feldern
Ende September, jedes Jahr wieder
Und ich am Gucken, als wenn's das erste Mal wär
Meine Neurosen, meine Leichtmatrosen
Sind verpackt in einem kleinen Koffer
Und bleiben ruhig
Alles pustet durch
Da geht wieder Licht an
Wenn's sich bewegt und nicht steht


Ob die anderen wissen, dass ich Angst habe weil ich nicht so selbstbewusst bin?
Was bedeutet überhaupt selbstbewusst? Ich hab keine Ahnung…
Wen kenne ich denn noch, der kein Selbstbewusstsein hat?
Und was ist mit mir? Manchmal schon.
Manchmal denke ich, dass alle Leute außer mir mutig sind.
Finden mich die anderen mutig?
Wer ist mutiger? Mädchen oder Jungs?
Ich glaube Jungs. Die sind immer laut.
Sind alle Leute die laut sind auch mutig?
Manchmal bin ich mutig. Aber wenn es um Liebe geht dann nicht.
Und was passiert überhaupt wenn man nicht mutig ist?
Als ich mich letztens verlaufen habe, habe ich jemanden nach dem Weg gefragt. Da war ich mutig.
Also ich bin total schüchtern.
Wenn die anderen Leute mich angucken bin ich schüchtern.
Manchmal bin ich schüchtern, manchmal nicht. Kommt immer auf die Situation an.
Ich wäre gern mutiger.
Wenn man fremd ist, ist man erst mal nicht mutig.
Mich hat Theaterspielen mutiger gemacht.
Wenn ich meine Arbeit zurückbekomme, dann verlässt mich all mein Mut.







Marie lächelt nicht mehr.
Sie blickt ihn an.
Weil sie keine Wörter hat.
Sie nähert sich
ganz behutsam
und dann...




Paul hat noch ein einziges Wort,
das er sagen kann.
Vor langer Zeit
hat er es in einem Mülleimer gefunden.
Zwischen lauter Hundekacka und Hasenpipi.
Dieses Wort mag er sehr gern.
Er hat es für einen ganz besonderen Tag aufgehoben.
Und dieser Tag ist jetzt da.
Er blickt Marie
fest in die Augen
und sagt:
Nochmal



Hörst du, wie das Volk erklingt?
Von uns'rer Wut erzählt der Wind,
das ist die Symphonie von Menschen, 
die nicht länger sprachlos sind.
Unser Schweigen ist vorbei,
unsere Worte klingen laut,
alles fängt ganz von neuem an,
wenn der Morgen graut.